Martin Brausewetter: DIALOG MIT DER NATUR DER MALEREI von Mag. Silvie Aigner, Kunsthistorikerin Martin Brausewetters Kunst findet ihren Ausgangspunkt in der Natur, die ihn umgibt, in der er viel unterwegs ist und dies an so unterschiedlichen Orten wie in Salzburg, Wien oder Brasilien, wo er sich stets einen Teil des Jahres aufhält. Seine Motive folgen darüber hinaus seinem Interesse an wissenschaftlichen Themen oder reagieren unmittelbar und direkt auf gesellschaftliche −soziale Tatsachen wie auf die Lebensumstände in den brasilianischen Favelas, die Form und Materialwahl seiner Möbelskulpturen bestimmen. Spricht man von der Natur der Malerei, so scheint scheinbar die Natur im Widerspruch zur Kunst zu stehen und sich einzig und allein auf die Immanenz des Mediums zu beziehen. Beide, Kunst und Natur, sind Systeme für sich, bei beiden geht es auch darum die Ursprünge ihres Seins, wie auch ihrer Entstehung zu begreifen. Letztlich ist auch die Malerei eine empirische Wissenschaft, basierend auf Farbenlehre, Harmonielehre und Bildkomposition. Wie verhält sich dieser Dialog, wenn die Malerei sich darüber hinaus auch thematisch auf die Natur bezieht, wenn sie Elemente aus ihrer Formenwelt verwendet oder ihnen nachzuspüren versucht? Bildet sie Natur ab oder versucht der Künstler mittels reiner formaler Malerei die Ursprünge der Gestaltung zu erkennen, um diese Grundelemente in der Folge in die Malerei zu transformieren und in einer anderen Form als der gewohnten "natürlichen" darzustellen? Tatsächlich erweitert der Maler in diesem Dialog nicht nur seine eigenen formalen Möglichkeiten, sondern auch zugleich das Assoziationsfeld des Betrachters. So malt Martin Brausewetter keine annähernden Landschaftswirklichkeiten. Die Natur wurde auch nicht abstrahiert, vielmehr wurden die Bildgegenstände neu gemacht. Die Formen schwimmen zum Teil auf dem Bildgrund und bilden eigene Farbkontinente während sie in anderen Bildern wieder unmittelbar an den vorderen Bildrand rücken. In einer freien, abstrakten Bildsprache versucht Martin Brausewetter, die komplexen Prozesse der Natur nachzuvollziehen. Wenngleich das Wissen um die Naturwissenschaft eine innere Basis für den Maler bildet, so geht es ihm nicht darum diese zu veranschaulichen oder zu dokumentieren, sondern sie in eine andere Sprache zu transformieren, bzw. auch direkt und unmittelbar auf die Natur zu reagieren. Die Übersetzung in das Medium der Malerei ermöglicht auch eine gewisse Distanz, um die Komplexität der naturwissenschaftlichen Phänomene zu reflektieren und sie in einen Bezug zur eigenen Wahrnehmung zu bringen. Bewusst wählt er seine Palette − Farben von intensiver Leuchtkraft Blau und Rot, die er mit Dunkelblau−Schwarz kontrastiert und andererseits Bilder mit dunklen, erdigen Tönen, von Moosgrün, Schlammgrau bis hin zu einem Rostbraun, die Erinnerungen an Natur evozieren. Die Oberflächenstruktur seiner Bilder ähnelt zuweilen der vielschichtigen Struktur geschliffener Steine. Martin Brausewetter trägt in seiner charakteristischen Bearbeitung der Oberfläche zuvor gemalten Farbschichten wieder ab, sodass untere Farbschichten wieder in den Vordergrund treten oder er splittert die Farbschichten in einzelne, zum Teil das Bild radikal vertikal oder horizontal gliedernde Segmente auf. Diese frei aufeinander bezogenen Elemente, die oft auf dunkelblau-schwarzen Grund gesetzt sind, lassen eine gegenständliche Wirklichkeit nur noch erahnen und kommen dem Betrachter im besten Fall bekannt vor. Doch sind sie im eigentlichen Sinne rein formale, aufeinander bezogenen Farbschichten, die eine landschaftsähnliche Struktur formen. Einzelne Assoziationen mit der realen Wirklichkeit scheinen zum Teil vom Künstler bewusst intendiert um den Betrachter auf Möglichkeiten der Wahrnehmung hinzuweisen. Wenngleich zum Teil die spontane Gestik durch die lineare, über die Malerei gelegte Zeichnung oder durch das Hineinkratzen in die nasse Farbe vorhanden sind, so überwiegt trotz intensiver Farbigkeit und kräftigem Duktus eine überlegte Setzung der Formen und Farben auf der Leinwand und ein Ausloten zwischen freier Fläche und opaker Malerei. Zum Teil ragen die Farbflächen von außen in das Bild oder schieben sich in einer eigenen bedächtigen Art in das Bild hinein und verweisen damit auch auf den Umraum, der sie umgibt. Sie erscheinen durch die Überschneidung der Formen am Bildrand wie ein Ausschnitt aus einem größer gedachten Ganzen. Die Gleichzeitigkeit der möglichen Wahrnehmung der Formen von einem Mikrokosmos, in dem sie vorgeben zelluläre oder amorphe Formen zu sein, bis hin zur Deutung der Farbflächen als vom All aufgenommene Satellitenbilder großer Kontinente, die auf schwarzem Grund schweben, heben die Bilder von Martin Brausewetter auf eine surreale Metaebene, in der sich Statik und Schwerelosigkeit ohne evidente Gegensätze begegnen. Martin Brausewetter baut Naturschichten auf und baut sie gleichzeitig wieder ab. Jede der einzelnen Schichten enthält dabei die Erinnerung an ein kollektives Gedächtnis, wie sie auch die Information für die Zukunft enthält. Seine Bilder sind darüber hinaus zuweilen Schaufenster aus dem Kosmos, wo Materie sich aufbaut und sich wieder aufzulösen scheint. "Ich male Naturgeschautes, dass zuweilen erst im Malprozess entsteht" so der österreichische Maler Max Weiler, mit dem Brausewetter nicht nur das Thema der Natur verbindet, sondern auch die Arbeit mit der Technik der Eitempera. Weiler suchte in seinen Bildern das Innewohnende der Natur, ihre geistige Instanz darzustellen, etwas das auch in den Bildern von Martin Brausewetter einen gewissen Stellenwert hat. Ebenso wie Max Weiler, der stets betonte, ein Formalist zu sein und auf der Leinwand über die Natur hinaus reine Formbeziehungen darzustellen, stehen auch Martin Brausewetters Arbeiten zwischen einer sich annähernden Landschaftswirklichkeit und einer rein abstrakten Bildsprache, in der zum Teil auch unterschiedliche Stimmungen emotionaler Befindlichkeit einfließen. Mit einer großen Kenntnis um den Bildaufbau, setzt Martin Brausewetter seine Formen in die Leinwand und arbeitet mit dem Kontrast von freier Fläche und Dichte der Form, sowie dem Gegensatz zwischen linearem Duktus und malerischem Farbauftrag. Wenngleich die Bilder keine Perspektive im traditionellen Sinn haben, baut Martin Brausewetter mit der Farbe eine Illusion von Tiefenräumlichkeit auf. Durch die Setzung der dunklen Farbe als Hintergrund zu den hell leuchtenden, zumeist opak aufgetragenen Farben in den amorphen Formen, erzeugt er einen Eindruck von unendlicher Weite in seinen Bildern. Die komplexen bildtechnischen Mittel, denen sich Martin Brausewetter dabei bedient, in dem er lineare Graphik, Collage, Malerei und Fotografie verbindet und anwendet, zeigt einmal mehr, dass eine traditionelle kunsthistorische Differenzierung der Gattungen nicht mehr funktioniert. Die Frage ob das Motiv und die Malerei gleichwertig sind, stellt sich angesichts des malerischen Duktus seiner Bilder kaum. Die bewegte Linearität der Zeichnung sowie das Öffnen der Farbschichten greift in das Bild erneut ein und gibt der Lesbarkeit eine bestimmte Richtung. Scheint es, als wären zuvor alle Teile des Bildes gleichwertig gewesen, so hebt die Gestik des Malers plötzlich einen Aspekt hervor. Die Umgebung scheint sich zu kontrahieren, als hätte sich auf der glatten Oberfläche eine Furche gebildet, der man in seiner Wahrnehmung zu folgen hat. Die Intention des Malers Prozesse der Natur zu veranschaulichen, so wie die für Martin Brausewetter so wesentliche Durchdringung von kleinen und großen Strukturen macht es notwendig, die Malerei auf eine abstrakte Ebene zu heben, was er zusätzlich auch durch den Wechsel der Perspektive von Draufsicht und Nahsicht erreicht. So liest man die Farbeinschübe wie bereits erwähnt als Mikrostruktur oder als Makrokosmos. Jede Zelle enthält im Kleinen alle notwendigen Informationen für das Große Ganze der Natur. Das Chaos ist das Feld der Entstehung. So erscheinen seine Bilder zuweilen wie ein Prolog für ein Kommendes, für ein sich Entfalten von Natur − und auch Denkprozessen. Die Welt seiner Bilder ist weder heil noch bedrohlich, sondern scheint auf die Ewigkeit dieser Prozesse zu verweisen, die auch ohne jegliches menschliches Zutun stattfinden. Martin Brausewetter bildet solcherart etwas in seiner Malerei ab, für das der Begriff Natur oder Landschaft längst zu eng geworden ist. Brausewetter hat sich im Verlauf seiner künstlerischen Entwicklung eine Formensprache erarbeitet, die ein souveränes und freies Einsetzen seiner malerischen Mittel erlaubt. Die Natur ist ihm dabei nur der Richtwert um die Möglichkeiten der Malerei auszuloten. Ob die beiden Systeme Natur und Kunst in einem Widerspruch stehen, versuchte die Malerei seit jeher zu beantworten. "Warum", fragte Umberto Eco, soll man sich überhaupt noch mit dem Bild beschäftigen, das doch viel ärmer ist als der reale Sand, als die Unendlichkeit der natürlichen Materie, die uns zur Verfügung steht?" Wir betrachten das Unendliche im Staubzustand, beschrieb Eco die neue Präsenz der Farbmaterie im Bereich des Informellen, die zugleich auch eine neue Art des Inbeziehungtretens von Raum und Zeit ermöglicht. Martin Brausewetterentwirft in seinen Arbeiten eine abstrakte Partitur, atmosphärische Beobachtungen in der Landschaft, wie Licht und Schatten, Stimmungen und Zeitabläufe werden in dem Zustand einer flüchtigen Erinnerung, einem Nachspüren eigener Gedanken ins Atelier gerettet und verfestigen sich dann auf der Leinwand. Um Eco nochmals zu zitieren, ist es die Kunst, die jene rohe Materie der Natur zu organisieren vermag, und als Art Gegenmodell zur Natur, erst ein Bewusstsein und eine Sensibilität schafft, für jene Bereiche, die sich der Schnelligkeit unser alltäglichen Wahrnehmung entziehen. |